Titel
Kunstwerk No.
Künstler*in
Zusatz
9 Elemente Maße variabel
Medium
Größe
Jahr
Status
Das Licht geht vor der Sonne auf ist ein Environment, das sich mit strukturellen, politischen und materiellen Bedingungen von Bewegung, Sichtbarkeit und Erinnerung auseinandersetzt. Im Zentrum steht die Rekonstruktion meines Geburtshauses Uchilishchnaya Ulitsa 2AM. Ursprünglich aus Holz rekonstruiert, liegen leicht schwebend neun Konstruale, massive Körper, die vollständige Anzahl der Fenster meines Geburtshauses auf dem Boden. Sie sind wie angespülte Fragmente einer inneren Logik von Verschiebung, Verlust und Anordnung im Gedächtnis. Der Brutalismus und der horizontale sibirische Stadtraum hat meine Wahrnehmung von Raum, Öffentlichkeit und Bewegung nachhaltig geprägt, die sowjetische Stadtplanung versprach Effizienz und Fortschritt durch schnellen Wohnungsbau, war aber Ausdruck einer Ideologie, politischer Kontrolle, Vereinheitlichung und patriarchaler Macht, welche bis in die heutige Zeit wirkt. Er steht für mich für das Sichtbarwerden dieser Ordnung in gebauter Form, in Monumenten, Rasterstrukturen, Serien. Die Transformation von Holz in Beton verweist auf strukturelle Prägung durch Material, Ordnung und Macht. Die Fensterrahmen sind keine Abbilder, sondern formale Setzungen, die sich mit Architektur als Träger politischer Systeme befassen und mit der Frage, wie sich diese Systeme in Körper, Erinnerung und Bewegung einschreiben. Das Fenster ist mit Aluminium isoliert. Zwei gesetzte Schlitze lenken zum einen das Licht gezielt auf die Betonkörper, zum anderen entsteht eine Camera Obscura, welche Bewegungen des Außenraums durch die Reflexion der sich bewegenden Fenster der vorbeifahrenden Tram auf der gegenüberliegenden Brücke einfangen, diese Bewegungen werden auf die Wände projiziert. Recyceltes Aluminium findet man im sibirischen Stadtraum oft als temporäres Baumaterial, das gleichzeitig Licht reflektiert und dämpft. Es verweist in meiner Arbeit auf provisorische Formen des Sichtbarmachens und Abschirmens. Eine Spieluhr aus meinem Archiv, welche im unteren Schlitz steht, enthält eine Fotografie meines Geburtshauses. Diese Elemente bilden eine räumliche Struktur, in der das Licht zur verbindenden Bedingung wird, es schafft Sichtbarkeit, Durchlässigkeit und Übergänge, bleibt aber an Bedingungen gebunden. Licht bewegt sich ungehindert, Menschen nicht. Die Arbeit reflektiert die politische Realität von Grenzen. Der Film Das Licht geht vor der Sonne auf (Narva-Jõesuu) wurde in Narva-Jõesuu an derestnisch-russischen Grenze gedreht. Dieser Ort steht mit einer der ersten Ausbildungsfahrten meines Vaters in Verbindung. Er wurde Seefahrer, ein weitesgehend selbstbestimmter Weg zu Zeiten des eisernen Vorhangs, bis zu dem Moment, in dem ein Schiffsbrand diese Bewegung unterbrach. Der Film verknüpft biographische mit politischer und kollektiver Wirklichkeit, mit Zwangsumsiedlungen, Enklaven, Migration und dem Fortbestehen ideologischer und räumlicher Trennlinien über Generationen hinweg. Die Zeichnung hellmouth (Batagai) basiert auf aktuellen Satellitenaufnahmen (Januar 2025) der ältesten thermokarstischen Erdöffnung Eurasiens. Sie zeigt eine geologische Formation, die durch das Auftauen des Permafrosts entstanden ist. Dieser Ort ist nur durch Bedingungen Russlands zugänglich, obwohl er für globale Forschungsfragen eine zentrale Rolle spielt. Der Krater steht für die komplexen Verhältnisse zwischen Zugänglichkeit, globalem Wissen, ökologischer Fragilität und Zukunft.



