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Titel
Laufzeit
Marcel Duchamp beschrieb den Titel des Kunstwerks als eine unsichtbare Farbe (Welchman, 1997), Pigmente, die das Auge umgehen und direkt zum Verstand sprechen. Diese Formulierung verlagert ästhetische Erfahrungen über den visuellen Eindruck hinaus in Richtung des Kontexts. Die Beschriftung eines Kunstwerks, die vom Künstler bereitgestellte Erzählung, die Ausstellungsgeschichte – all dies wirkt als Erweiterung dieses unsichtbaren Pigments. Sie prägen, wie wir das, was sich unserem Auge präsentiert, lesen, bewerten und sogar ablehnen. Eine solche Rahmung beschränkt sich nicht nur auf den Ausstellungskontext. Wenn ein Werk aus der Ausstellung genommen wird, bleibt seine Identität durch ein System der Dokumentation und Klassifizierung erhalten. Katalogeinträge und Archivbeschreibungen ersetzen die direkte visuelle Erfahrung und bieten ein Informationsgerüst, das die Bedingungen festhält, unter denen das Werk gelagert, zugänglich gemacht oder sogar imaginiert wird. Die Lagerung eines Kunstwerks erfordert daher eine Interpretation, die über seine visuelle Darstellung hinausgeht. Man berücksichtigt nicht nur seine Größe, sein Gewicht und seine Form, sondern auch, wie das Werk verpackt, transportiert und beschriftet wird. Die Lagerung folgt Protokollen, die physische Objekte in ein Ordnungssystem verdichten, in dem sprachliche Annotationen mit materiellen Bedingungen verschränkt sind. Auf diese Weise wird das Kunstwerk im Lager mit Metadaten verknüpft. Die lassen sich parallel zu den algorithmischen Methoden ziehen, die beim Training generativer künstlicher Intelligenz Verwendung finden. Generative Bildmodelle werden nicht nur anhand der Farbinformationen der Pixel trainiert, sondern insbesondere anhand ihrer textuellen Beschreibung wie beispielsweise gescrapte Bildunterschriften, Alt-Texte, Tags oder Dateinamen aus großen Webarchiven. Neben einfachen Metriken wie Auflösung oder Seitenverhältnis beinhalten viele Datensätze zusätzliche digitale Metriken, welche für jedes Bild von einer Vielzahl von (KI-)Methoden berechnet werden. Dazu zählen mitunter ein ästhetischer Score, welcher durch einen trainierten Klassifikator die Ästhetik eines Bildes zwischen 0 und 10 bewertet oder einen NSFW-Score, welcher mittels eines Modells berechnet wird, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Bild gefährliche Inhalte enthält. Zusammengenommen bilden diese Metriken zusammen mit den Bildinformationen eine digitale Repräsentation, die ähnlich wie die physischen Gegebenheiten in der Lagerung für ein Werk im Trainingsprozess einstehen. Durch diese verschachtelten Pipelines werden Modelle in verschiedenen Phasen des Trainings mit gefilterten Daten gespeist, die bestimmten Kriterien entsprechen. Diese Filter lenken die Systeme in Richtung spezifischer Sicherheitsprotokolle, ideologischer oder ethischer Überlegungen, aber auch Unternehmensrichtlinien. Beim Training speichert ein Modell keine digitalen Kopien von Bildern oder Texten, sondern lernt Muster aus den Daten und halluziniert diese in neuartigen Konfigurationen, die sogar über das Original hinausgehen. Im Gegensatz zu physischen Archiven, die die Originalstücke weiterhin aufbewahren, zerstören Trainingsprozesse das Original und rekonstruieren es anhand von gelernten Mustern. Dieses Lernen fungiert als eine Form der Komprimierung, bei der Wissen aus Milliarden von Bildern und Texten inx Modellen verdichtet wird, die nur wenige Gigabyte groß sind. Die genauen Mechanismen, wie dieses stochastische „Wissen“ komprimiert wurde, sind noch umstritten Ein Mechanismus scheint jedoch besonders wichtig zu sein: die Darstellung von Daten durch hochdimensionale Vektoren. Diese Vektoren bestehen aus mehreren Zahlenlisten, die Elemente wie (Teil-)Wörter, Bilder oder Videobilder für die Verarbeitung durch den Computer kodieren. Fast alle von KI ausgeführten Aufgaben, sei es das Lernen von Mustern, das Vergleichen von Elementen oder das Generieren neuer Inhalte, funktionieren auf diesen numerischen Zeichen. Jeder Vektor kann als Koordinate oder Richtung in einem mathematischen Raum gelesen werden, in dem Ähnlichkeit geometrisch gemessen wird. Diese sogenannten latenten Räume werden im Training so geformt, dass sie einer rechnerischen Semantik annähern, sodass ähnliche Dinge nahe beieinander liegen. Da diese mathematischen Räume extrem hochdimensional sind und oft Tausende von Dimensionen umfassen und der Raum der generativen Ergebnisse zu groß ist, um ihn vollständig zu erfassen, müssen wir uns ihnen durch Experimente, Abbildungen und Projektionen nähern. Diese Ausstellung untersucht zwei Formen der Kartierung. Bei der physischen Lagerung werden Kunstwerke durch materielle Beschränkungen, räumliche Anordnung und menschliche Arbeit komprimiert. Im Gegensatz dazu komprimiert der rechnerische latente Raum Kunstwerke auf einer anderen Ebene, wobei Metadaten und andere Merkmale in hochdimensionale Vektoren kodiert werden. Diese Vektoren abstrahieren Muster und Beziehungen der digitalen Repräsentation der Werke, die ein menschlicher Betrachter möglicherweise nicht wahrnimmt, und werden durch eine berechnete Koordinate ausgedrückt, die neben dem physischen Standort des Lagers angegeben wird. Die Kontrastierung dieser Kartographien wirft die Frage auf, welches Weltverständnis wir von Maschinen erwarten können, die ausschließlich auf diesen digitalen Repräsentationen operieren. Welche Hierarchien und Verhältnisse zwischen Dingen entstehen dabei durch das reine Vergleichen, Ordnen und Organisieren ihrer Zeichen?
Leon-Etienne Kühr arbeitet als Informatiker und Medienkünstler mit Methoden der Informationsvisualisierung, Datenwissenschaft und Künstlicher Intelligenz. In seiner Praxis untersucht er die Mechanismen KI-gesteuerter Automatisierung und die Phänomene des zunehmend verflochtenen Verhältnisses von Welt und ihrer digitalen Repräsentation in generativer KI. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Co-Leiter des KI-Labors an der Hochschule für Gestaltung Offenbach und studierte zuvor Mediale Künste an der KHM Köln sowie Medieninformatik an der Bauhaus-Universität Weimar. Ting-Chun Liu arbeitet mit audio-visuellen Medien, Netzwerkpraktiken und KI. Er untersucht Feedback-Mechanismen in generativen Bild- und Klangprozessen, um kollektives Unbewusstes und die unerreichbare „ideale“ Perspektive in KI-generierten Bilddarstellungen zu reflektieren. Er arbeitet als Künstlerischer Mitarbeiter an der Bauhaus- Universität Weimar und studierte zuvor Mediale Künste an der KHM Köln sowie New Media Art an der TNUA Taipei. In Kooperation mit der Filmwerkstatt Düsseldorf
Künstler*innen
